"Let it Be" - so kam die Jungfrau zum Kinde

Mercedes verkaufen, das muss toll sein. Nach meinem Jobverlust als CEO eines Musikgeschäftes war ich nach erfolgloser Stellensuche beim RAV angemeldet. Es war nicht einfach, mit 54 Jahren einen Geschäftsführerjob zu finden. In dieser Zeit rief mich der Verkaufsleiter einer Mercedes Garage in der Nähe von Solothurn an. Ich war per du mit ihm weil wir ein paar PR-Aktionen zusammen durchgeführt hatten. Symbiose: Luxusmarken wie  "Mercedes und Steinway & Sohns". Er meinte, wenn ich teure Steinway-Flügel verkaufen könne, sei es doch auch möglich, teure Autos wie Mercedes zu verkaufen. Ich hatte mir sowas noch nie überlegt und sagte zu. Es wurden die härtesten sieben Monate meines Lebens. Ich musste dort weg - einfach nur weg!

 

Eine Sekundarschule im Kanton Bern hatte ein Problem. Eine Musiklehrerin, die unter Depressionen litt, versah ihren Dienst in Abschnitten von ein paar Wochen und meldete sich danach erneut krank. Diesen Turnus wiederholte sich. So war der Musikunterricht kaum geregelt möglich und mit diesem Vorgehen war es unmöglich, ihr zu kündigen. Die Musikklassen waren derart verwahrlost, dass kein Stellvertreter es länger als ein paar Tage aushielt. Schüler und Schülerinnen können brutal gegen Lerhkräfte sein. Dies sollte auch ich schon bald am eigenen Leib erfahren.

 

Der Rektor der Schule meinte, es sei ihm egal, dass ich kein Dipolm hätte. Die 11 Schulklassen hätten nun schon seit Monaten keinen geordneten Musikunterricht mehr bekommen. Eine Bedingung allerdings stellte er mir: Ich müsse am Montag um 07.25 Uhr anfangen mit der Klasse 3 b. Es war der Freitag davor um 17.00 Uhr.

 

Pro Woche hatte ich 23 Musiklektionen an 9 Klassen zu unterrichten plus ein paar Wahlfächer. Ich war kurz entschlossen, denn ich hatte nichts zu verlieren. Ich rief meinen durchgeknallten Verkaufsleiter der Mercedes Garage an und sagte ihm, dass ich am nächsten Tag, am Samstag um 15.00, eine Dossierübergabe abhalten würde. Er könne erscheinen oder nicht, es sei mir völlig wurst. Er kotzte förmlich durch das Telefon und drohte mir mit einer Klage, denn ein solches Vorgehen hatte er noch nie erlebt. Ich aber wusste, dass ich genügend Fakten gegen ihn in der Hand hatte, um vor dem Arbeitsgericht und vor dem RAV zu bestehen. So fand die Dossierübergabe statt. Er warf mir noch an den Kopf, eine Schule sei ein geschützter Arbeitsplatz, wo der Lohn vom Staat bezahlt werde. Ich antwortete: "Na und?" 

 

Ich betrat die Aula der Sekundarschule am Montag morgen und begrüsste die Klasse. Mich erwartete eine Aufgabe, die ich nie gelernt und für die ich null Vorbereitung gehabt hatte. So was nennt man: "Ins kalte Wasser springen" bezw. Flexibilität. Natürlich wurde ich neugierig beobachtet und einige Schüler*Innen hatten sich vermutlich schon Gedanken darüber gemacht, wie man den Neuen fertig machen könnte.

 

Meine erste Herausforderung bestand darin, dass eine 15-Jährige schnippisch bemerkte: "Geile Turnschuhe tragen Sie, Herr Jordi! Haben Sie die in der Migros gekauft?" Nun, es war nicht die letzte Provokation. Es folgten ähnliche und schlimmere. Ich fragte, was zuletzt gemacht worden sei im Musikunterricht. Die Antwort: "Wir haben CD's gehört". Ich weiter: "Habt ihr denn auch manchmal gesungen ? Ja, schon. Was zum Beispiel ? "Let It Be" von den Beatles. "O.K". Ich setzte mich an den Steinway-Flügel und begann die Einleitung von "Let It Be" zu spielen. Das hatten die Kids nicht erwartet. Damit hatte ich die Klasse erst einmal in der Tasche. Es war ein Kinderspiel für mich. Ich bin Jazzmusiker und ein guter Pianist und "Let It Be" kennt jeder. So kam ich zur Schulmusik wie die Jungfrau zum Kinde. HRJ

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Kommentare: 1
  • #1

    Kurt von Allmen (Dienstag, 04 Dezember 2018 14:33)

    Hallo Hansruedi

    Habe alle deine Blog's gelesen, wollte aber nicht zu einzelnen Themen meinen Senf dazu geben, das Ganze war sehr bemerkenswert, sehr interessant wie das zu mir rüberkam. Vieles wusste ich natürlich aus Gesprächen mit dir, habe mir Gedacht dass du doch noch ein Buch schreiben solltest, und noch viele Leute mehr an deiner Einstellung zum Leben teilhaben könnten. Finde aber auch dass du auf diesem Wege mit den Blog's noch viele Leute erreichen kannst, als mit Gesprächen.

    Habe mir auch schon Gedanken gemacht mein Leben, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Worten, und Zeilen zu verewigen, hätte wie du auch genügend Stoff div. Themen ein kleines Buch zu schreiben, werde es mir noch etwas aufschieben, später an Stelle von Musike erarbeiten.

    Mach weiter so, und es ist mir immer eine grosse Freude mit dir zu musizieren!
    Liebe Gruess Kurt