"Ischu" und der Marterpfahl

28.07.2018 Ich habe in meiner Schulzeit keinen Karl May gelesen. Irgendwie sind diese Geschichten an mir vorbei gegangen. Trotzdem - so scheint es wenigstens - kann man sich als Junge den Einflüssen der Indianergeschichten nicht erwehren. Der Marterpfahl ist wohl jedem Buben ein Begriff. In der fünften Primarschul-Klasse hatten sich bei uns einige Banden gebildet. Wir bastelten Kriegswerkzeug übelster Art. Ketten mit zackigen Blechsternen daran, die absolut tödlich hätten sein können. Damit zogen wir im Trab durch die Wälder. In meiner Klasse gab es zwei konkurrenzierende Banden, die „Ischu-Bande“ und die „Hunziker-Bande“. Jedes Bandenmitglied bekam einen Fantasienamen. Ich wurde „Mammut“ genannt weil ich einen fürchterlichen Schrei ausstossen konnte wie ein Mamut und war Mitglied der Ischu-Bande.

 

Gestern kehrte ich mit Madeleine von Solothurn zurück nach Hause. Wir waren mit unserem neuen Auto, in das wir uns beide sozusagen verliebt haben, auf dem Friedhof Sankt Katharinen gewesen. Zwischen Gerlafingen und Wiler, im sog. Wilerwald, bog ich plötzlich, einer Eingebung folgend, nach links ab. Ich weiss nicht, was mich geritten hat, wahrscheinlich ein indianisches Pferd, denn eine Jugenderinnerung steuerte mein Handeln. So erzählte ich Madeleine beim Durchqueren des Waldes von den Streifzügen unserer "Ischu-Bande" in der fünften Klasse. Ischu (Eugen) führte uns im Laufschritt oder im Galopp wie auf einem Steckenpferd durch schmale Geheimpfade sog. Räuberwägli durch junges Tannendickicht an einen Ort bei einer bestimmten Tanne, wo er einen Karton vergraben hatte. Darin hatte er Bilder von nackten Frauen versteckt. Wir gruben sie aus, betrachteten sie lüstern und vergruben sie erneut.

 

Bei einem unserer Bandentreffen fesselten wir ein Bandenmitglied, das sich vermeintlich des Verrats schuldig gemacht hatte, an einen Baum, machten ein Feuer und piekten ihn dann an den nackten Beinen mit dünnen Stöckchen, deren Spitzen wir im Feuer glühend gemacht hatten. Welchem Superhirn diese „Folter“ entsprungen war, weiss ich nicht mehr. Ich hoffe, nicht meinem. Als wir nach einer Pause in unser Klassenzimmer zurück kehrten, tobte unser Lehrer, Herr Scheurer, wie eine Furie. Wir hatten ihn noch nie so wütend erlebt. Er hatte in einigen Pulten die gefährlichen Ketten und Schlagwerkzeuge entdeckt.

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