Von der Nussschale zum Stahl-Trawler

Unser Dorf hatte einen kleinen Dorfbach, etwas mehr als ein Rinnsal. Er floss unter unserer Strasse unsichtbar daher und ausgerechnet vis à vis unseres Hauses kam er aus der Röhre hervor und schlängelte sich durch die Wiese. Er war etwa einen Meter breit und ca. 30 cm tief. Fische haben wir darin nie gesehen aber das Gewässer eignete sich gerade mal zum darüber springen. Nicht selten zogen wir auch einen Schuh voll Wasser heraus. Ich war im Kleinkindesalter und entwickelte an diesem Bächlein die Begeisterung für Schiffe. Mein Vater zimmerte mir ein blaues Holzboot von ca. einem Meter Länge. Es hatte einen flachen Boden, einen spitzen Bug und eine Sitzbank quer über die Breite. Hineinsetzen konnte man sich allerdings nicht. Es ging sofort auf Grund und füllte sich mit Wasser. So befestigte ich eine Schnur daran und zog es vom Ufer aus vorwärts. Ich staunte darüber, wie mein Vater es schaffte, die Seitenbretter gegen den Bug hin zu biegen. Er legte die Riemen in Wasser ein und zwang das Holz in eine Rundung. Nach dem Trocknen blieben sie in dieser Form. 

 

Wir waren schon einige Jahre verheiratet und hatten bereits zwei kleine Kinder, als meine Jugendbegeisterung wieder aufflammte. Ein Arbeitskollege hatte ein kleines, knallrotes Badeboot in einem Schuppen im Hafen von Murten, das er zum Fischen benutzte. Wir durften es uns zum Baden ausleihen. Zu dieser Zeit besassen wir einen VW-Campingbus. Die erste Ferienfahrt nach Rimini war für unsere Kinder eine Katastrophe. Sie interessierten sich weder für links noch rechts, das einzige Interesse galt den Mickimaus-Heften. So fragte ich sie im nächsten Jahr: "Wollt ihr eine Ferienreise ans Meer machen oder jeden Tag an den Murtensee zum Baden gehen mit der Nussschale?" Die Antwort kam jubelnd: "Nussschale!" Nun dauerte es nicht mehr lange, bis der Wunsch nach einem richtigen Motorboot entstand und der Campingbus wurde verkauft.

 

Unser erstes 4-Plätzer-Motorboot, ein blauer Impala mit Aussenborder war ein Occasionskauf. Wir konnten es im Bootshafen von Murten vertäuen. Die nächste Anschaffung war ein neuer Aussenborder "Johnson 45 PS" zum Wasserskifahren. Diese Versuche dauerten nicht lange. Nachdem sowohl Mädi wie auch ich lauter blaue Flecken eingefangen hatten, legten wir die sportliche Seite dieses Hobbys zu den Akten. Unser Sohn Markus hingegen entwickelte einen recht professionellen Umgang damit. Wenn wir am Abend aufbrachen und den glänzenden See im wunderschönen Abendrot verlassen mussten, überkam uns eine grosse Sehnsucht. Man müsste ein Kabinenboot haben um die Nächte auf dem Wasser verbringen zu können.

 

Eine Bootsausstellung in Zürich zeigte uns, was wir wohl brauchten: Eine "Windy 27" mit zwei Motoren à 175 PS - ein 8.30 m-Boot, das nicht gerade genügsam war im Benzin-verbrauch. Aber damals sprach noch niemand von Klima-erwärmung und Energiesparen. Doch nach zwei teuren Jahren merkten wir, dass wir nicht die schnellen Typen sind. Auch das Wasserskifahren machte unsrem Sohn und der inzwischen dazu gekommenen Tochter nicht den richtigen Spass. Die Heckwelle war zu gross. Schlafraum und Essraum waren identisch d.h. für den jeweiligen Zweck musste umgebaut werden. Intelligent ausgedacht, aber mühsam und die Doppelkoje für die Kinder würde nicht lange gross genug sein. Schliesslich wachsen die Goofen ja rasend schnell.

 

Nach zwei Jahren entstand der Wunsch nach einem gemütlichen Stahlschiff mit Verdrängerrumpf und sparsamem Dieselmotor. Wir suchten lange nach dem richtigen Schiff. Von einem Boot konnte man von nun an nicht mehr sprechen. In der Schweiz war so etwas zu dieser Zeit nicht zu kaufen. Mit einem Händler fuhren wir nach Holland in die Werft "Van der Valk" in Waalwijk. Da sprang es uns in die Augen. Das Objekt war auf dem Werftgelände aufgebockt und es schrie förmlich nach uns. Diese Schiffe kann man nicht einfach kaufen, man muss sie bauen lassen. Eine Nacht darüber schlafen und rechnen, rechnen, rechnen war angesagt! Obwohl wir das Geld nicht zusammen hatten, bestellten wir einen Valkcruiser 11.60 Meter mit einem Volvo Penta 6-Zylinder Turbodiesel mit 150 PS. Er verbrauchte nur 3,5 Liter pro Stunde. Mit einer starren Antriebswelle fühlte es sich beim Steuern an wie ein wirkliches Schiff! Wir verbrachten alle Ferien und die meisten Wochenenden auf dem schwimmenden Ferienhaus, das wir auf den Namen "Magdalena III" tauften. Von der Grösse her waren wir schon lange gezwungen gewesen, den Hafen zu wechseln. Von Murten waren wir nach Avenches, dann nach Chevroux und 1980 in den neu erbauten Hafen von Portalban umgezogen, wo es entsprechende Bootsplätze gab.

 

Die Krönung unseres Hobbys: Die "Magdalena IV" ein 2-motoriger Stahltrawler aus Holland

Zwischenhalt: Les Trois Lacs, Broye

Ja, die Ansprüche waren erheblich gestiegen. Aus dem Bubentraum des Dreikäsehoch wurde ein Captain zur See mit respektabler Erfahrung. Mit dem 15-Meter Trawler war die Spitze erreicht. Beide Kinder hatten eine Schlafkabine für zwei Personen. Man brachte ja unterdessen Freund bezw. Freundin mit und wenn die Kinder nicht dabei waren, konnten wir befreundete Ehepaare inklusive Beherbergung einladen. Die Motorisierung war 2 x Volvo Penta 6-Zylinder Turbodiesel mit je 150 PS. Radar, Autopilot, Generator und Zentralheizung waren unterdessen ebenso Standard wie eine Flybridge mit Zweitsteuerung und Beibootkran. Im separaten Pilothaus stand ich stolz am Ruder und wir erkundeten die drei Juragewässer Murten- Neuenburger- und Bielersee, die wir bald auswendig kannten - das wahre Paradies!

Nach dem Verlust meiner CEO-Stelle in der Musikbranche und dem Berufswechsel zum Musiklehrer mussten wir die Magdalena IV (das Schiff nicht meine Frau) verkaufen, da die jährlichen Aufwendungen mit dem reduzierten Einkommen nicht mehr vereinbar waren. Genug ist genug - 40 Jahre Böötlen haben schönste Erinnerungen und unauslöschliche Eindrücke hinterlassen. Ab und zu besuchen wir auf dem Landweg die eindrücklichsten Orte der Drei-Seen-Landschaft.

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